KUNST | KOLUMNE | SONNTAGSKOLUMNE | MYPHONETELLSSTORIES | REISEN/TRAVEL | FASHION | FOOD


Die 'komplizierteste' Sache der Welt

10/09/2016


„Warum schreibst du ihm nicht einfach?“

Ich stutze. Diese einfache und banale Frage bringt mich aus dem Konzept. Wieso schreib ich ihm nicht einfach?! Meine Gedanken beginnen zu rasen. In dieser einfachen und doch so naheliegenden Frage, verbirgt sich so viel mehr als nur das naheliegende. Ich werde Still, druckse rum und überlege wie ich in Worte fassen kann, was sich hinter meinem Kopf abspielt.

„Ich weiß nicht…also eigentlich hab ich mir das auch schon überlegt…aber ich war ja dann weg und…“ Wie genau erklärt man jemandem, der so ungemein älter ist, als man selbst, wieso man ihm eben nicht einfach so schreiben kann, obwohl man vielleicht nichts lieber als das machen möchte?! Ich setzte erneut zu einem Versuch an. Ich denk, dass ist mehr so ein Junge Leute Problem. Klar, könnte ich ihm einfach schreiben. Aber man macht das eben nicht. Man wartet. Darauf, dass sich der andere zuerst meldet. Weil man dem anderen ja sonst hinterherrennen würde und ja...eigentlich komplett bescheuert, aber so ist das eben in meinem Alter.

„Also so eine Art Spielchen?“ Ja. Nein..schon irgendwie. Man steht zwar in Kontakt und wir sind alle super erreichbar, aber dann schreibt man trotzdem erst drei Stunden später zurück…auch wenn‘s blöd ist. Klar war das mit dem Melden immer ne Option. Wahrscheinlich hätte ich auch schon längst was von mir hören lassen, wären da  nicht diese mahnenden Stimmen, die mir davon abraten. Weil ER doch gesagt hat, das ER sich meldet, dass ER mir schreibt. Und da wär‘s doch irgendwie…ach keine Ahnung. Und was, wenn er nicht zurückschreibt, liest und nicht antwortet, weil das doch eben viele von uns so machen?!

„Aber sieh das mal so: er ist in einem komplett fremden Land, in einer neuen Umgebung, ganz alleine und fängt da ein neues Leben an. Der hat bestimmt auch Heimweh und vermisst sein zu Hause. Du würdest dich doch auch freuen, wenn du von Zu Hause hörst, wenn dir jemand schreibt und an dich denkt.“

Das ganze klingt einleuchtend. Verdammt einleuchtend, trotzdem wende ich ein, dass es doch gerade wenn man ein neues Leben anfängt hinderlich ist, wenn die Leute die Kilometerweit entfernt ein ganz anderes Leben leben immer auftauchen.

Aber eigentlich will ich mich melden. Wissen wies ihm geht. Vor allem nachdem ich gemerkt hab, dass ich ihn vermisse. Obwohl ich dachte, ich tu‘s nicht. Mir dieser Tatsache sogar ziemlich sicher war.

Aber es geht um Verluste. Darum Menschen zu verlieren. Durch Entfernung, durch das Leben und ich für meinen Teil hab genug davon. Wenn ich auf mein Leben zurück schaue, dann gleicht der Weg, den ich zurückgelegt habe irgendwie auch einem Schlachtfeld (Ganz überspitzt gesagt). Überall liegen sie, die Zeichen verlorener Freundschaften, tieferer Geschichten. Bindungen, die nicht gehalten haben. Erinnerungen an Menschen, die ich nicht halten konnte.

Die Sache mit den Verlusten ist immer, wie man damit umgeht. Mich trifft jeder von ihnen und auch wenn ich zurückblicke bedauere ich diese Verluste. Denn es waren immer Menschen, die mir viel bedeutet haben. Deswegen hänge ich auch so an Menschen. Sie geben einem Halt und wenn der dann fehlt, fällt man. Weil man sich ja nirgends mehr festhalten kann. Klar, man ist nie alleine im Leben, es gibt immer noch jemanden der da ist, aber jeder Mensch gibt dir auf einen andere Art und Weise Halt. Und ich will den Halt nicht verlieren, den du mir gibst.

Es ist verrückt. Zum verrückt werden. Weil ich mich deshalb melde, obwohl ich mich nicht melde. Also öffne ich die Nachrichtenfunktion meines Handys und fange an zu tippen. Nein, blöd. Delete. Wieder von vorne, bis ich nach dem fünften Anlauf dann etwas zusammengetippt habe, was nicht zu pathetisch ist. Nicht zu lange und gerade kurz genug, das irgendwie alles und nichts reinpasst.

Wisst ihr, letztens hab ich ein Lied gehört, auf dem Fahrrad. Nicht nichts war der Titel. Nicht nichts müsste ja eigentlich, im normalen grammatikalischen Kontext, alles heißen. Weils ja ne doppelte Verneinung ist. Aber dann so kurz vor Ende des Liedes singt er dann: ich hab dir nie alles gesagt, aber immerhin nicht nichts. Was doch dann in dem Kontext bedeuten würde, dass nicht nichts auch irgendwas heißt. Irgendwas und alles. Wieso sagen sich die Leute eigentlich immer irgendwas, aber nicht alles?

Natürlich hab ich die Nachricht nicht direkt abgeschickt, sondern erst nach mehrmaligem Anlauf. Ja, ich weiß, im Grunde sind es doch nur Worte, doch für mich sind sie dann doch irgendwie so viel mehr. Daher ist das einfach schreiben zwar naheliegend, aber nicht einfach, sondern irgendwie die komplizierteste Sache der Welt. Luft anhalten. Senden. Atmen. Warten, weil du ja nie weißt, was passiert. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen